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Nur Cannabis vertreibt den "Kobold im Kopf"

  • Nur Cannabis vertreibt den "Kobold im Kopf"
    Sie zucken, schnalzen mit der Zunge und beleidigen andere Menschen: Wer unter dem Tourette-Syndrom leidet, ist nicht mehr Herr seiner selbst. Mit Cannabis bekommen viele Betroffene ihre Symptome in den Griff. Nur der Staat spielt da nicht mit - noch nicht.


    Als der französische Arzt Gilles de la Tourette 1885 eine Studie über ein bisher unbekanntes "Nervenleiden" veröffentlichte, konnte er nicht ahnen, dass die Krankheit bald nach ihm benannt werden sollte. Aber genau so kam es. In seiner Arbeit beschrieb Tourette das Verhalten von neun Patienten - darunter das der Marquise de Dampierre. Die Aristokratin hatte bereits im Alter von sieben Jahren damit begonnen, merkwürdige Körperbewegungen zu machen. Dazu gab sie eigenartige Laute und obszöne Äußerungen von sich.


    Gestörter Stoffwechsel im Gehirn
    Tourette bezeichnete das Verhalten der Marquise als "Tic-Krankheit". Auch heute reden Ärzte noch von Tics. Meist wird die Krankheit jedoch als Tourette-Syndrom zusammengefasst. Die genaue Ursache kennen Ärzte nicht. Sie vermuten aber, dass die Krankheit auf einen gestörten Stoffwechsel im Gehirn zurückzuführen ist. Das Syndrom ist nicht heilbar, allenfalls die Symptome können eingedämmt werden.
    Betroffene sprechen von einem "Kobold im Kopf". Wer unter dem Tourette-Syndrom leidet, hat sich nicht mehr im Griff. Einer von ihnen ist Sebastian Hurth aus Saarburg. Der 25-Jährige schlägt sich unwillkürlich mit der Hand gegen die Brust, schnalzt mit der Zunge, schnippt mit den Fingern, pfeift, verdreht den Kopf, klatscht und zeigt den Mittelfinger. All das in zufälliger Reihenfolge und ohne Ermüdungserscheinungen - den ganzen Tag lang. Auf der Straße zieht er Blicke auf sich. Passanten reagieren befremdet, belustigt, besorgt. Manchmal sind die Tics so schlimm, dass nur ein Notarzt helfen kann.


    Einfach mal ruhig spazierengehen
    Bemerkbar machten sich die ersten Tics bei Sebastian im Alter von acht Jahren, mit 20 erhielt er schließlich die Diagnose: Tourette-Syndrom. Seitdem hat er sämtliche Medikamente ausprobiert, doch das einzige, was sein Leiden lindert, ist Cannabis. Wenn Sebastian einen Joint raucht, verstummt der "Kobold im Kopf". Die Zuckungen lassen nach, er kann durch die Stadt schlendern, ohne Aufsehen zu erregen. "Das ist ein immenser Unterschied", sagt er. Cannabis gebe ihm so viel mehr Lebensqualität. Zwar zeige er manchmal weiter den Mittelfinger, aber auch das könne er besser unterdrücken.


    Für Sebastian könnte alles so schön sein, wenn da nicht die Sache mit dem Gesetz wäre. Denn Cannabis gilt in Deutschland als Betäubungsmittel und ist illegal. Bundesweit besitzen nur 779 Patienten eine Ausnahmegenehmigung für das Kraut. Um diese zu erhalten, müssen sie nachweisen, dass herkömmliche Arzneimittel bei ihnen nicht wirken. Zwar besitzt Sebastian eine Genehmigung, doch sein Cannabis muss er trotzdem aus eigener Tasche bezahlen. Und das ist teuer.


    Hohe Kosten machen Betroffenen zu schaffen
    Der Apothekenpreis für Cannabis liegt in Deutschland deutlich über dem, was der Straßenverkäufer ums Eck verlangt. Für fünf Gramm legt man rund 80 Euro hin. Pro Monat bräuchte Sebastian 20 Gramm, kann sich aber nur fünf leisten, weil er arbeitslos ist. Seine Ausbildung zum Heilerzieher musste er wegen seiner Krankheit abbrechen. Aus Sebastians Sicht ist die Situation "unfair". Er versteht nicht, warum ihm das Medikament zwar zur Verfügung gestellt werde, dies aber mit so "immensen Kosten" verbunden sei, dass er es sich nicht leisten könne.
    Was Patienten wie Sebastian Hoffnung macht, sind Gesetzespläne von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Stimmt der Bundestag zu, können Schwerstkranke Cannabis möglicherweise bereits im Frühjahr 2017 auf Rezept erhalten. Die gesetzlichen Krankenkassen würden die Kosten für das Medikament dann erstatten, ohne fürchten zu müssen, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Für Menschen wie Sebastian wäre das sicherlich eine große Erleichterung.
    Viele Forscher sind inzwischen davon überzeugt, dass Cannabis Schwerstkranken hilft. Nicht nur Tourette-Patienten berichten von einem positiven Effekt, sondern auch Menschen mit starken Schmerzen, Krebs, Aids oder Multipler-Sklerose. Grund für die Wirkung ist das sogenannte Tetrahydrocannabinol ([lexicon]THC[/lexicon]). Es ähnelt stark bestimmten körpereigenen Stoffen - den Endocannabinoiden. Diese dienen dem Gehirn dazu, sich selbst zu regulieren. Der Körper produziert sie etwa bei starker Anstrengung. Sie sorgen dafür, dass Schmerzen unterdrückt werden und sich ein Gefühl der Euphorie ausbreitet ("Runner’s High").


    Quelle: Tourette-Syndrom: Nur Cannabis vertreibt den "Kobold im Kopf" | Startseite | Landesschau Rheinland-Pfalz | SWR.de

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